Wenn die Tribüne pöbelt
Preußen-Abwehrchef Ole Kittner: „Das kann ich nicht verstehen. Wir führen 1:0, haben einen Matchplan, eine klare Strategie zum Spielaufbau. Da kann es nicht sein, dass gepfiffen wird. Das haben wir nicht verdient.“ Und Coach Marco Antwerpen: „Wir wollen spielerisch von hinten raus, das machen wir schon die ganze Saison und davon rücken wir nicht ab.“
Gut so!!! Aber einige Fans haben die gruseligen Vor-Antwerpen-Vorstellungen offenbar schon vergessen: Spielaufbau bis ca. zehn Meter vor der Mittellinie, dann langer Ball auf Grimaldi. Kam dieser nicht an, oder konnte Grimaldi ihn nicht verarbeiten / festmachen – druff auf den „zweiten Ball“. Ein Fußball, der auf den Zufall und auf Fehler des Gegners setzte. Ein Fußball, mit dem man sich nicht für den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ bewerben kann. Möglicherweise hat man Grimaldi nicht nur deshalb abgetreten, weil er die Finanzen des Klubs zu stark belastete. Sondern auch, um die Spielkultur zu verändern, genauer: weiterzuentwickeln.
Arrogante Ahnungslosigkeit und Gehässigkeit
Das Problem ist ganz einfach, dass Kittner und Antwerpen vom Fußball unendlich mehr verstehen als einige Zuschauer auf der Haupttribüne, die pfeifen, wenn der Ball zurück zum Torwart zurückgespielt wird, um einen gepflegten Spielaufbau zu betreiben. Weil sie nicht wissen, was ein solcher ist. Und warum ein solcher sinnvoll sein kann. Als Tribünensitzer bin ich über diese Mischung aus arroganter Ahnungslosigkeit und Gehässigkeit immer wieder zutiefst irritiert. Nein, sie kotzt mich an, verleidet mir manchmal den Besuch des Stadions. Auch in anderen Stadien wird gemeckert und geflucht – aber irgendwie doch anders als in Münster.
Schwere Ausgangssituation vor der Saison
Ausgangssituation vor dem Start der Saison: Eine schwierige Liga mit Vereinen wie Kaiserslautern, Braunschweig, Uerdingen, 1860 etc., deren Kader mindestens doppelt so teuer sind wie der des SCP. Dazu nicht drei, sondern vier Absteiger. Meine Prognose vor dem ersten Spiel: Platz 10 bis 14. Aber auch ein bisschen Angst vor dem Abstieg. Den ich immer noch habe, denn unten den Preußen stehen Mannschaften, die durchaus Fußball spielen können. Aalen unterliegt in Münster mit 0:4. Aber von einer Mannschaft, die Letzter ist, hatte ich eine andere Vorstellung erwartet. Diese Liga ist eine ganz enge Kiste. Der SCP hat aktuell genauso viele Punkte auf seinem Konto wie KFC Uerdingen. Absurd, wenn man die Ausgaben der Krefelder mit denen der Preußen vergleicht. Bislang ist es so, dass der SCP für jeden Euro, den er ausgab, deutlich mehr bekommen hat als Uerdingens spendier- und rausschmissfreudiger Russe Mikhail Ponomarev.
„Ihr IDIOTEN! Haut den Ball weg!“
Als der SCP das teure Ensemble von Eintracht Braunschweig mit 3:0 abfertigte, herrschte trotzdem um mich herum phasenweise aggressive Unzufriedenheit. Und zwar ausgerechnet in solchen Momenten, in denen der SCP richtig gut Fußball spielte. Die Eintracht presste auf Preußens linker Abwehrseite (direkt vor der Haupttribüne). Und die Preußen? Befreiten sich aus dieser Situation mit one-touch-Fußball, mit kurzen und präzisen Pässen. Mir wurde ganz warm ums Fußball-Herz. Dass man so etwas in der 3. Liga zu sehen bekommt, von der ich im letzten Jahr den Eindruck hatte: Drittliga-Fußball ist kein Spiel mit dem Ball, sondern gegen den Ball. Und von großen Kerlen, die die Kugel von Strafraum zu Strafraum dreschen, die sozusagen Großfeld-Tennis spielen. Aber mein Nachbar sah dies ganz anders und brüllte in Richtung der Preußen-Spieler: „Ihr IDIOTEN! Haut den Ball weg!“ Zu diesem Zeitpunkt führte der SCP 1:0 oder 2:0.
Wird der Ball auf MSN zurückgepasst, wird die Haupttribüne nervös. Passt MSN dann den Ball zum nächsten Mitspieler oder in die Tiefe auf den loseilenden Sechser, Achter oder Zehner, anstatt ihn über die Mittellinie auf einen gedeckten Mitspieler zu kloppen, wird aus Nervosität Pöbelei. Was macht das eigentlich mit einem Torwart, der diese Reaktionen ja mitbekommt? MSN spielt eine ganz starke Saison, hat dem SCP schon einige Punkte gerettet. Auf der Haupttribüne bekommt man aber manchmal den Eindruck, im Preußen-Tor stünde der größte Versager. Weil man nur auf den Ball starrt (anstatt einen größeren Raum zu scannen), versteht man nicht, warum dieser zu MSN gespielt wird, warum der Keeper anschließend das kurze Zuspiel bevorzugt (auch quer), warum der Ball dann ein weiteres Mal zum Torwart wandert, warum man vielleicht auch einfach mal auf den Ball tritt und für einen kurzen Moment überlegt, wie es weitergehen könnte. (Und wenn die Spieler etwas ratlos sind – die allermeisten von uns, also den Zuschauern, wissen doch erst recht nicht, was die Lösung des Problems ist.)
In der Regel erfolgt dies ja nur dann, wenn die Räume vorne geschlossen sind, man den Spielaufbau neu starten muss, den Gegner aus seine Positionierung herauslocken und herausspielen muss. Wenn man nicht will, dass der Ball beim Gegner landet. Man macht das Spiel nicht schnell, indem man den Ball einfach nur nach vorne kloppt – unabhängig davon, wie der Gegner zu den Mitspielern steht. Höchstens das des Gegners, aber ganz bestimmt nicht das eigene.
Nur Teile der Haupttribüne
Münster wird häufig mit Freiburg verglichen. Beide Städte werden von Studenten, Beamten und Bildungsbürgern geprägt. Und doch gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen den beiden Städten. Freiburg ist bereit für guten Fußball, goutiert diesen, nörgelt weniger herum, pöbelt seine Mannschaft nicht in Grund und Boden, wenn es mal nicht so läuft. Schon gar nicht, wenn diese führt. Und bleibt bezüglich der eigenen Möglichkeiten realistisch.
Natürlich betreffen meine Beobachtungen nur TEILE der Haupttribüne. Und schon gar nicht Kurve und Gegengerade. Neulich stand ich mal ausnahmsweise. Erst in der Kurve, dann auf der Gegengeraden. Die Stimmung dort war wesentlich positiver und entspannter.
Ruud van der Krol