Preußen und der Sündenbock

2019/2020 - Der Heim-Blog

Der Sündenbock hat bei Preußenfans Tradition. Ist der Sündenbock gefunden, wird die Erklärung einer sportlichen Krise zum Kinderspiel, bei dem jeder mitmachen – genauer: mitdreschen – kann und darf. Aktuell heißt Preußens Sündenbock Malte Metzelder. Dabei fallen die eigentlichen Probleme unter den Tisch. Auch dies hat leider Tradition.

Thomas Bäumer, ohne dessen finanzielles Engagement der SC Preußen nicht in die eingleisige 3. Liga aufgestiegen wäre, war irgendwann die Anfeindungen leid und zog sich zurück. Der Tuja-Boss war sicherlich nicht schuldlos daran, dass die Fans ihn nicht mochten. Aber sein Rückzug hinterließ eine finanzielle Lücke.

Für Teile der Fans war Bäumers Rückzug kein Problem. Es hieß, dass der Klub dermaßen attraktiv sei, dass man mühelos neue Geldgeber finden würde. Vielleicht sogar solche, die mehr zahlen würden als Bäumer. Bislang wurden diese Geldgeber nicht gefunden. Die mit dem Lagadère-Deal verbundenen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.

Dann war Carsten Gockel an der Reihe. „Gockel raus!“, schallte es aus der Kurve. Heute beklagt man die Nicht-Existenz des SCP in der Mitte der Stadtgesellschaft. Das war eines der Arbeitsfelder, auf denen Gockel emsig und erfolgreich war. Auch fallen in seine Amtszeit erste ernsthaftere Ansätze eines Scoutings und der Gegnerbeobachtung.

Der neue Hoffnungsträger hieß nun Walther Seinsch: „Walther, rette uns!“ Seinsch versprach den Fans ein neues Stadion, perspektivisch auch Investitionen in die Mannschaft. (Umgekehrt wäre es sinnvoller gewesen -, vor allem aber hilfreicher…). Voraussetzung war die Ausgliederung von Profis, U23, U19 und U17. In den Foren wurde diskutiert, als würde der SCP schon bald ans Tor zur Bundesliga klopfen. Potenzielle Investoren würden Schlange stehen – allerdings nur bei einem Fassungsvermögen des neuen Stadions von 35.000 und mehr. Wer Bedenken äußerte und sich einen „Plan B“ wünschte, wurde als ahnungsloser Pessimist denunziert. Erwartungsgemäß platzte der Traum vom neuen Stadion. Wohl auch, weil es keine Investoren-Schlange gab, die den notwendigen Druck ausüben konnte.

Alles nur „Provinzkicker“?

Nun ist also Malte Metzelder (MM) der Sündenbock für alles. Obwohl er mit dem größten Problem, dem Mangel an Geld und politischer Unterstützung, herzlich wenig zu tun hat. Die Bearbeitung dieser Probleme gehört nicht in seinen Aufgabenbereich. Aber sie beeinflussen seine Arbeit.

In Bezug auf seine Kaderplanung lautet der hauptsächliche Vorwurf an MM, dass er sich vorwiegend in der Regionalliga bedient habe. Die Abgänge von Klinge und Koby seien nicht adäquat aufgefangen worden. Kombiniert kamen Koby und Klinge auf 32 Torbeteiligungen in der letzten Saison. Solche Quoten 1 zu 1 zu ersetzen, dürfte angesichts der (allein ligainternen) Konkurrenz von Vereinen wie Braunschweig, Kaiserslautern, Ingolstadt, Uerdingen etc. für einen Verein der Kategorie Preußen Münster extrem schwer sein. Im Vergleich mit diesen und anderen Vereinen ist der SCP ein eher kleiner Drittligist.

Vor dem Saisonstart wurde verzweifelt gefragt: „Wer soll die Tore schießen? Hinten ist ja alles okay – aber vorne… MM muss einen ‚Knipser‘ holen!!!“ Diese liegen aber nicht auf dem Wühltisch herum, sondern sind eine Rarität, extrem teuer und bringen trotzdem keine Garantien. Braunschweig leistete sich mit Proschwitz, Ademi und Koby gleich drei solcher Spieler und hat insgesamt gerade einmal drei Tore mehr geschossen als der SCP. MM beantwortete das Fehlen eines „Knipsers“ so: „Wir werden das Toreschießen auf mehrere Schultern verteilen.“ Fazit nach der Hinrunde: Der SCP hat 29 Tore geschossen – ein Tor mehr als in der Hinrunde 2018/19… Nein, Preußens Kader hat an anderen Stellen Probleme.

Der Vorwurf, MM habe sich zu sehr auf Regionalligaspieler fokussiert erübrigt sich ein wenig, wenn man sieht, dass Artikel über Seref Özcans Entscheidung beim SCP zu bleiben, von denselben Leuten geliked werden, die MM an anderer Stelle für die Verpflichtung zahlreicher Regionalligaspieler kritisieren. Überhaupt hat der Sportchef schon des Öfteren auf die Notwendigkeit solcher Transfers hingewiesen und vermutlich hat Preußen mit Blick auf Spieler wie Wagner, Özcan, Erdogan oder Mörschel lange nicht mehr so viele (leider auch für andere Vereine) interessante junge Spieler in den eigenen Reihen gehabt.

Der neue Preußen-Trainer, Sascha Hildmann, hält den Kader für „sehr gut besetzt“. Viele Jungs hätten schon gezeigt, „dass sie 3. Liga können. Ich bin von der Qualität des Kaders überzeugt.“ Das ist vielleicht etwas zu nett gesagt. Aber für Hildmann wäre es wesentlich einfacher gewesen, von einem schwierigen Kader zu sprechen, den man erst auf Drittliga-Niveau heben müsse, wozu ihm aber nur wenig Zeit bliebe. Dann hätte er gleich eine Begründung für sein mögliches Scheitern geliefert. So aber setzt sich Hildmann selber unter Druck.

Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte: Der Kader ist nicht „sehr gut“, aber auch nicht wirklich schlecht. Manche halten ihn sogar für „sehr talentiert“. Was ihm fehle, sei eine gewisse Robustheit. Aber würde man diesen Kader (und die Klasse) halten, könnte man ihm noch viel Freude haben. Der Kader sei vielleicht etwas zu viel Zukunft und etwas zu wenig Gegenwart.

Darüber hinaus ist und bleibt Transferpolitik von außen schwer zu bewerten. Niemand weiß, welche Verpflichtungen aus welchen Gründen auch immer nicht geklappt haben. Ob es Pech war, ob man zu spät dran war oder einfach Geld fehlte (bei Lukas Scepanik wurde ja sogar bereits öffentlich über eine Einigung berichtet, bevor der MSV Duisburg noch kurzfristig dazwischen grätschte).

Wie flüchtig diese externen Bewertungen sind, sieht man momentan gut am Fall Eintracht Frankfurt. In den letzten Jahren wurde Fredi Bobic für seine Verpflichtungspolitik gepriesen. Bobic war für viele der beste Manager und Kaderplaner der Liga. In dieser Spielzeit wird ihm vorgeworfen, dass seine Neuen nicht funktionieren. Dabei hat Bobic kaum etwas anders gemacht als in den Spielzeiten zuvor. Aber man bekommt halt nicht jeden Sommer einen Jovic, Rebic, Haller. Und man hat auch nicht ständig ein glückliches Händchen.

Im Phantasialand

Dass man in einer sportlichen Krise über den Sportdirektor diskutiert, ist normal und völlig in Ordnung. Bemerkenswert ist etwas anderes: Welche Themen man nicht diskutiert.

Offensichtlich sind einige unverändert der Auffassung, der SCP hätte die Möglichkeit besessen, gleich einen ganzen Haufen gestandener Zweit-, wenigstens aber Drittligaspieler zu verpflichten. Obwohl der SCP vor dieser Saison zum zweiten Mal in Folge die Gehaltsstruktur senken musste. Bei seinem Amtsantritt 2016 sprach Präsident Christoph Strässer davon, dass der SCP schon in drei Jahren seine Konkurrenzfähigkeit einbüßen könnte – in der 3. Liga. Wir schreiben nun das Jahr 2020…

Anfang Dezember 2019 erzählte Strässer, auch im Falle des Klassenerhalts stünde der SCP „mittel- bis langfristig vor großen wirtschaftlichen Problemen.“ Frank Westermann (Aufsichtsrat) ergänzte, dass zwar fünf Mio. Euro in die KgaA geflossen seien – „davon mussten allerdings Verpflichtungen erfüllt werden, die den Grundstein für eine gesunde wirtschaftliche Basis sind.“ Hört hier eigentlich niemand mehr zu? Oder sind der Fußball und das Fußballgeschäft zu kompliziert geworden.

Jedenfalls wird der Mangel an Geld weitgehend ignoriert. Überhaupt kein Thema sind die Gründe für den Geldmangel – eigentlich unverständlich. Und was ist eigentlich von der Seinsch-Karte geblieben, auf die man gesetzt hatte? Immerhin war Seinsch einer der treibenden Kräfte hinter der Ausgliederung gewesen, die ihm dann aber wohl zu wenig „investorenfreundlich“ ausfiel. Die Architekten der Ausgliederung wollten den Bedenken der kritischen Fans gerecht werden und möglichst viele Mitglieder auf ihren Weg mitnehmen. Kann man ihnen das vorwerfen? Nein. Aber am Ende landeten sie wohl zwischen den Stühlen. Die „Ultras“ verabschiedeten sich, wodurch die Stimmung in der Kurve weiter sank. Und Seinschs Schatulle öffnete sich nicht.

Vor der Winterpause 2018/19 kursierte das Gerücht, Walther Seinsch würde die Mittel bereitstellen, damit der SCP noch in den Aufstiegskampf eingreifen könnte. Jedenfalls sofern sich die Mannschaft in Schlagdistanz zu Platz drei befinden würde. Damals trennten die Preußen acht Punkte vom Dritten. Ein Gerücht ist erst einmal nur ein Gerücht. So war es auch in diesem Fall. Nichts passierte. Attackiert wurde dafür MM. Dieser habe dem Trainer, Marco Antwerpen, zwei, drei Neuzugänge verweigert, mit denen man vielleicht in die 2. Liga aufgestiegen wäre.

Richtig ist, dass Antwerpen in der Tat um Verstärkungen bat – auch über die Presse. Welcher Trainer tut das nicht? Im besten Falle bekommt er sie. Im schlechtesten Falle hat er anschließend eine Begründung dafür, warum dieses und jenes nicht gelang, warum er als Trainer nicht im erhofften Ausmaß performte. Richtig ist aber eben auch, dass für diese Verstärkungen kein Geld da war. Nach einer schwächeren Rückrunde schloss der SCP die Saison 18 Punkte hinter Platz drei und sieben Punkte vor dem ersten Abstiegsplatz ab. 18 Punkte sind schon ein Brett. Wem ist dieses anzulasten? Dem Sportdirektor? Hätte der SCP diese 18 Punkte-Distanz mit zwei, drei Neuzugängen überbrücken können? Schließlich hätten die Neuzugänge gleich zwei Herausforderungen lösen müssen.

Erstens: Die Distanz zum Punktekonto des Tabellendritten (s.o.) überwinden. Zweitens: Den Niveauverlust des existierenden Kaders kompensieren. Warum performte der Kader in der Rückrunde nicht mehr im gleichen Maße wie in der Vorrunde? Ganz sicherlich nicht, weil der Sportdirektor MM hieß.

Da die Seinsch-Schatulle geschlossen blieb, hätte sich der Klub für diese verschulden müssen. Mit negativen Folgen für den (ziemlich wahrscheinlichen) Fall, dass es mit dem Aufstieg nichts geworden wäre. Mit der Lizenz für die 3. Liga wäre es wohl schwierig geworden.

Man kann Preußens Politik der „schwarzen Null“ hinterfragen. Aber dann sollte man anschließend nicht herumjaulen, wenn die Preußen mal wieder Schulden plagen.

2020 ist nicht 2013

Auch bekommt man in Diskussionen manchmal den Eindruck, der Gegenüber habe seine Beschäftigung mit dem Fußball und sein Denken über die Preußen im Sommer 2013 eingefroren. „Damals hatten wir doch auch nicht mehr Geld! Jedenfalls nicht viel mehr. Und die Trainingsbedingungen waren auch nicht besser!“ Stimmt. Aber erstens war die damalige Mannschaft mitnichten billig. Erinnert sei hier nur an einige Spielerverträge, die später ein ziemlicher Ballast für den Verein waren und seinen finanziellen Spielraum beeinträchtigten. Und zweitens haben sich die Konkurrenten seither weiterentwickelt – nicht nur auf den genannten Feldern. Vom Stadion ganz zu schweigen.

Der SCP ist nicht erst seit dieser Saison kein natürliches Mitglied der 3. Liga. Daran wird im Übrigen auch ein Klassenerhalt nichts ändern. Vielleicht wird er dies in drei bis fünf Jahren wieder sein, wenn alle Hausaufgaben erledigt sind. Im Augenblick ist er dies nicht. Und keineswegs nur, weil er auf einem Abstiegsplatz steht.

Der SCP kann Spieler weder mit Geld noch mit großartigen Trainingsbedingungen locken. Beide Dinge gehören kaum in den Beritt eines Sportdirektors und eines Trainers, wobei MM in Sachen Trainingsbedingungen sogar tätig wurde (s.u.). Felix Magath bemängelt, dass hierzulande die Finanzen bei der Beurteilung sportlicher Leistungsfähigkeit „leider gar nicht berücksichtigt werden.“ Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit Werder Bremen. Wenn Werder keine europäische Platzierung schafft, war es nach Auffassung der Medien eine schwache Saison. Man erinnert an Werders große Zeiten. Als ob sich die Fußballwelt seit dem „Double“ von 2004 nicht gravierend verändert hätte. Als ob es keine Champions League mit ihren finanziellen Auswirkungen auf die Liga geben würde, kein RB Leipzig etc. Für Werder muss heute gelten: Wenn der Klub in der Bundesliga mit einer einstelligen Platzierung abschließt, ist dies keine Selbstverständlichkeit. Der Unterschied zwischen Bremen und Münster: In Bremen haben dies Fans und Umfeld kapiert.

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9 Antworten

  1. Hannes Nordmeyer sagt:

    Welch ein supertalentiert Artikel!!!

  2. Hannes Nordmeyer sagt:

    Supertoller!

  3. Mike sagt:

    Super Geschrieben! Sollte für einige Pflichtlektüre werden!

  4. Hans Werner sagt:

    Großartig! Am liebsten würde ich den Artikel mehrfach ausdrucken und allen Nörgeln und Unwissenden in die Hand drücken.

  5. Simon sagt:

    Klasse Kommentar! Erfrischend „andere“ Sichtweise.

  6. Klaus Jürgens sagt:

    Welch ein super Artikel ! An alle Vereinsmitglieder verschicken und Malte Metzelder auf der Jahreshauptversammlung hoch Leben lassen!!!

  7. Andreas Beckmann sagt:

    Ich bin Vereinsmitglied und MM trägt nunmal die Hauptverantwortung.
    Selbst wenn man alle anderen Kritikpunkte fallen ließe – 8 sieglose Spiele hätten reichen können für die Erkenntnis, das der Trainer mit seinem und MM´s Konzept gescheitert ist. Waren es 14? oder 15 Spiele ohne Sieg??? Auf jeden Fall viel zu spät.
    Doppelt geschrieben????
    Ja – ich bin einer der bösen Kritiker des Herrn Metzelder aus dem bösen Forum…

  8. Joachim sagt:

    Besser kann man es nicht beschreiben. Endlich mal liegen die Dinge richtig beschrieben auf dem Tisch. Sehr gut. Danke dafür!

  9. Henning wossidlo sagt:

    Ich habe in den 60iger Jahren in der C Jugend gespielt und lebe jetzt seit 35 Jahren in Wiesbaden und leide fast jede Woche seit meinem Abschied aus Münster. Immer wenn ich die Vorstandsriege bei den Spielen in Wiesbaden zu „nachhaltigen“ Abendessen eingeladen hatte, keimte Hoffnung auf. Dieser fantastische Artikel sollte Anlass geben, tatsächliche Entscheider und potentielle Sponsoren für das Überleben des Vereins und die Vision Zukunft zu gewinnen und einzunehmen. Vielleicht findet sich ja dann auch noch ein es ernst meinender „Macher“

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