Ein Abschied auf Zeit?

2020/2021 - Ein Abschied auf Zeit - Sven Scholz
2020/2021 - Ein Abschied auf Zeit

Liebe Freunde und Bekannte, liebe Fans des SC Preußen Münster, liebe Mitstreiter und Weggefährten,

uns alle hat die Corona-Pandemie bis heute viel Kraft, Nerven und Zeit gekostet. Jeder hat Einschnitte zu spüren bekommen und viele wird es wohl noch härter getroffen haben als mich. Dennoch möchte ich euch hier mit sehr vielen persönlichen Worten mitteilen, dass ich mich von NullSechs.de und allen Ämtern und Arbeitsgemeinschaften rund um den SCP zurückziehen werde. Es soll zunächst ein Abschied auf Zeit sein und dieser soll, laut Plan, zunächst bis zum Ende der Saison gelten. Warum erkläre ich euch in den folgenden Zeilen.

Dieser Text ist zum einen eine wichtige Aufarbeitung für mich, zum anderen auch eine Erklärung für euch. Weiter möchte ich euch auch auf ein wichtiges Thema aufmerksam machen. Depressionen.

Vorweg

Bestimmt hätte ich schon in den letzten Jahren einiges an mir und meinem Leben ändern können. Allerdings hatte ich sehr große Hoffnungen in 2020 und eigentlich hätte das Jahr nicht besser starten können. Alles war in Schuss, geplant und funktionierte wunderbar. Ich war bereit für mehr. Doch dann kam der Lockdown und damit auch eine große Herausforderung. Nicht nur für mich, für uns alle.

Das letzte Mal echten Fußball

Wir standen am 2. März beim Heimspiel gegen den FC Hansa Rostock allesamt, gemeinsam, wie gewohnt und ohne Masken an unseren Plätzen im Stadion. Mit Bier, mit Wurst und einem dreckigem 1:0 bei typischem Preußenwetter. Schön war es. Der Sieg war damals so wichtig und die Woche konnte nicht besser werden. Wir verabschiedeten uns wie gewohnt mit Umarmungen und Shake-Hands. Niemand wusste, dass es die letzte Begegnung dieser Art für viele Wochen und Monate darstellen würden.

Der Käfig nennt sich Home-Office

Am 13. März 2020 hat die Landesregierung NRW beschlossen, Kitas und Schulen zu schließen. Am 16. März folgte die 3. Liga mit einer Aussetzung des Spielbetriebes bis Ende April. Am 17. März folgte mein Arbeitgeber, die WWU Münster und beschloss die Schließung von Bibliotheken und Gebäuden für Studierende. Schwupps. Binnen einer Woche war alles anders. Doch der Mensch in mir sagte. Ach Gott, auch das werden wir hinbekommen. Positiv an die Sache ran gehen und wir wuppen das alles schon irgendwie gemeinsam. Im Grunde hab ich immer gedacht, an mir prallt alles ab!

Denkste. Mit Beginn dieser Zeit wuchsen die Herausforderungen als Vater, als Mitarbeiter und als Elternvertreter in der Kita. Zudem war schon damals klar, dass mein Sohn ab August in die Schule kommen und dort noch einiges auf mich zukommen würde.

Man fühlte sich wie ein Sprungtuch bei der Feuerwehr, welches ausgebreitet wurde und an dem alle zerrten. Mein Sohn, der natürlich etwas von seinem Vater haben wollte und im Home-Office oft fragte, wann wir spielen oder wann ich fertig bin. Die Anforderungen an Corona auf der Arbeit durch unzählige neue Regeln und Veränderungen im Vergleich zu einem normalen Semester. Die Eltern in der Kita mit ihren Fragen zu den Regularien von Stadt und Land. Wenn man in der Wohnung oben im Büro saß und arbeitete, war man in Gedanken unten bei seinem Sohn. Wenn man mit seinem Sohn etwas machte, war man in Gedanken im Büro bei der Arbeit. Es war frustrierend.

Der Druck in mir, dass alles schaffen zu wollen, wuchs mit jedem Tag. Damit verbunden auch die Angst zu versagen oder etwas davon nicht zu schaffen. Wenn man sich in der Vergangenheit immer an seinen Leistungen bemessen hat und vor allem alles alleine schaffen wollte, baut dies immer mehr Druck auf. Dieser sorgte dafür, dass sich meine Stimmung schleichend von Tag zu Tag verschlechterte. Die Sorgen nahmen immer mehr zu und man veränderte sich. Ich sah es aber nicht, dass sich die Stimmung immer mehr zusehends zum negativen wandelte.

Das Home-Office wurde zum Käfig. Einen richtigen Austausch mit Menschen hatte man zu Beginn nur digital und danach persönlich nur selten. Ich vermied Kontakte und Treffen mit Freunden. Unnötige Feiern meide ich bis heute. Ich zog mich immer weiter zurück und hatte keinen echten Austausch der so wichtig ist, um sich selbst auch mal reflektieren zu können. Ja, ich hätte anrufen können, aber der Antrieb überhaupt etwas zu tun, war schon verloren gegangen.

Da war es schon zu spät

Als es eigentlich schon zu spät war und ich im Grunde eine emotionslose Hülle meiner selbst war, trat jemand in mein Leben, der meinem Sohn und mir absolut gut tat. Aber egal wie intensiv man sich um mich bemühte. Es war schon zu spät. Ich war gereizt, nahm Dinge NUR zur Kenntnis, aber ich fühlte nichts. Ich funktionierte lediglich wie ein Roboter, der weder Zeitgefühl noch Aussichten für die Zukunft hatte. Jeder Tag war so, wie der Tag zuvor. Bedrückend und beklemmend. Jede neue Herausforderung in meinem Leben, egal ob durch meinen Sohn, meine damalige Freundin, durch die Arbeit, durch NullSechs.de oder durch die anstehende Einschulung, sorgte für Ängste. Selbst eine eingehende E-Mail im Posteingang auf der Arbeit sorgte für Unwohlsein.

Ich hatte nach vielen Jahren endlich das Perfekte Gegenstück für mich gefunden, es aber nicht gesehen und festhalten können. Ich war in einer sehr depressiven Phase, wo ich alles nur mit dem Unterbewusstsein mitbekommen habe. Erst seit den letzten Wochen werden aus trüben Erinnerungen klare Bilder.

Fußball gibt mir nichts mehr zurück

Gut erinnere ich mich noch an das Heimspiel gegen den SV Meppen, dass ich zusammen beim Rudelgucken (mit Abstand und Maske natürlich) mit einigen anderen Preußen Fans gesehen hatte. Eigentlich dachte ich damals, es würde mir gut tun. Tat es aber nicht. Der Fußball hatte sich zu der Zeit schon für mich verändert und wurde/war unwichtig. Etwas, was mir ein Jahrzehnt intensiv mit Preußen Münster Spaß gemacht hatte, fühlte sich falsch oder zumindest anders an. Als die Preußen 0:3 zurück lagen, als Absteiger feststanden, bin ich in der 70. Minute von meinem Stuhl aufgestanden und gegangen ohne jemandem Tschüss zu sagen. Wer mich kennt weiß, so etwas mache ich nie.

Und dieses Bild hat sich bis heute nicht verändert. Zwar kaufte ich meine Unterstützer-Dauerkarte und investierte sonst in alles, was der Verein anbot, um diesen zu unterstützen. Doch vor dem ersten Heimspiel gegen Bergisch Gladbach entschied ich mich, schon eingeloggt im Ticket-Shop, die Karte dann noch nicht zu kaufen. Bei den beiden Heimspielen gegen Homberg und Lotte, war ich zwar anwesend. Es fühlte sich aber nicht an wie sonst. Es gibt mir aktuell einfach nichts zurück und es gibt eben 100 Mal mehr Dinge im Leben, die wichtiger sind als Fußball.

Achtet auf euch!

Wichtig ist mir zu sagen, dass jeder Mensch Grenzen hat. Jeder Mensch hat ein Limit. Wenn Ihr merkt, dass es euch dauerhaft schlecht geht, dann ruft jemanden an oder tauscht euch aus. Denkt niemals, dass ihr unverwundbar seid und macht bitte nicht den Fehler, immer alles alleine lösen zu wollen. Dies habe ich gelernt. Meine Grenzen kenne ich nun besser und ich merke auch, wie nun die emotionale Seite wieder durchschimmert.

Daher habe ich auch beschlossen, mich von NullSechs.de und allen Aufgaben beim SCP definitiv bis Ende dieser Saison zu verabschieden. Denn auch das Fanmagazin, ein Hobby seit 2014 – in den sozialen Medien seit 2011, war am Ende kein Spaß mehr, sondern eine Last und Frust. Ob es eine Rückkehr gibt, kann ich euch nicht sagen.

Und jetzt?

Die Periode zwischen März und September wurde von mir komplett filetiert. Ich bin dieser kurzen und intensiven Zeit, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatte, Schritt für Schritt nachgegangen und mache einen Cut. Ich hetze nicht mehr durch die Welt von A nach B, schiebe nichts mehr auf, mache das, was mir Spaß macht und führe tolle Gespräche mit vielen Menschen. Dies tut mir gut und ebnet den Weg für mehr. In den Gesprächen und in dem Austausch ist es schon sehr erstaunlich, wie viele Menschen in Berührungen mit Ängsten, Trauer und Depressionen gekommen sind. Hätte ich dies mal vorher gemacht, es hätte vielleicht am Ende nicht so viel gekostet.

Seit dem 1. Oktober bin ich ebenfalls wieder im Büro an der Uni und habe am 2. Oktober das erste Mal meinen Rechner bewusst heruntergefahren, um in ein normales Wochenende zu gehen.

Und zum Schluss hat sich dann auch (leider) herausgestellt, dass jegliche Angst unbegründet war, weswegen ich etwas wertvolles verloren habe. Alles was anstand wurde geschafft und ist fantastisch gelöst worden. Die Einschulung hat unter den aktuellen Umständen super geklappt und auch das Semester wurde mit einem tollen Einsatz meiner Kolleginnen und Kollegen gemeistert. Hinterher ist man eben manchmal schlauer.

Bis bald an anderer Stelle, passt auf euch auf und bleibt gesund!

PS: Die Saisonspende werde ich weiterhin fortführen, denn das Ding ist so jovel und macht Spaß und bereitet Freude, das tut gut!

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