Unter Druck gesetzt, aber nicht gebrochen: Preußen zeigen Moral

Wofür ist die niedersächsische Landeshauptstadt bekannt? Der Maschsee, Carsten Maschmeyer, Fußballspektakel? Für das Spektakel hat mindestens ein Tross von knapp 5.000 Preußen-Fans im weiten Rund der Heinz von Heiden Arena gesorgt und damit die exklusive Mittelfeldposition in der 2.-Liga-Auswärtsfahrer-Tabelle einmal mehr bestätigt. Sportlich konnten die Preußen einen Auswärtszähler für sich verbuchen, der in der Schlussrechnung noch sehr wertvoll werden kann. Aber der Reihe nach.
Favoritenrolle klar verteilt
Die Vorzeichen unserer Auswärtspartie bei Hannover 96 waren eigentlich klar sortiert. Eigentlich. Bei der Heimmannschaft stehen die Zeichen uneingeschränkt auf Aufstieg – zumindest in puncto Erwartungshaltung. Nicht anders ist der Trainerwechsel vor dem Rückrundenauftakt zu deuten. Mit aller Macht soll im Mai 2025 beim zweimaligen Deutschen Meister der erneute Aufstieg in das Fußball-Oberhaus gefeiert werden. Und da der zugrundeliegende 3-Jahres-Plan keine weitere Spielmasse mehr zulässt, musste Stefan Leitl als schwächstes Glied in der Kette seinen Hut nehmen.
Fortan führt André Breitenreiter bei den Roten Regie und konnte in der Vorwoche mit einem teils mühevollen 0:1-Auswärtserfolg bei den abstiegsbedrohten Regensburgern einen erfolgreichen Einstand feiern. Somit war die Favoritenrolle geklärt: Die heimstärkste Mannschaft der Liga empfängt mit dem Aufsteiger aus dem Münsterland den krassen Underdog. Aber mit der Favoritenrolle geht nicht selten auch entsprechender Druck einher.
Bei den Preußen aus Münster hingegen durfte man gespannt sein, ob sich die Diskussionen um einen möglichen Wechsel von Joel „Jonny“ Grodowski auf die Mannschaft auswirken und ob Neuzugang Florian Pick vom Ligakonkurrenten 1. FC Nürnberg tatsächlich das Offensivspiel der Preußen beleben kann. Sascha Hildmann traf jedenfalls noch vor der Abfahrt in Richtung Calenberger Neustadt eine robuste Entscheidung und ließ Grodowski daheim an der Hammerstraße. Mit vier Auswärtspartien in Folge ohne Niederlage und dem Last-Minute-Erfolg in der Vorwoche gegen Greuther Fürth gab es für die Preußen jedenfalls keinen Grund, sich in der Ferne zu verstecken.
Safety first
War der Platz nicht immer einer Zweitliga-Partie würdig – im Vorfeld hatten starke Regenfälle das Geläuf in ein schwer zu bespielendes Feuchtbiotop verwandelt – so hielt das Duell zwischen dem Tabellen-4. und dem Tabellen-15. was es versprochen hatte. Sascha Hildmanns Marschroute war dabei von Beginn an klar zu erkennen: Soll doch der Favorit das Kommando übernehmen und demzufolge in das Spiel investieren. Schließlich mussten die Hannoveraner nach den Siegen vom Hamburger SV und dem 1. FC Köln am Vortrag nachziehen, wollte man den Anschluss an die Tabellenspitze nicht verlieren und gleichzeitig die Chance wahren, auf Tabellenplatz 3 zu klettern. Gesagt, getan. So ließ sich das Team von Coach Breitenreiter nicht lange bitten und übernahm schnell das Zepter. Und dennoch entwickelte sich keineswegs Einbahnstraßen-Fußball, da die Adler-Träger mit schnellem Umschaltspiel immer wieder entscheidende Nadelstiche setzten.
In der 19. Minute stockte erstmal der Atem in der prallgefüllten Gästekurve, als Muroya das Gehäuse von Schenk auf Stabilität hin prüfte und einen Schuss aus dem 16er an die Oberkante der Latte setzte. Aber der Torrahmen ist eben nur der Rahmen. Besser machte es zwei Minuten später kein anderer als Joshua Mees. Ebenfalls im 16er nimmt der treffsicherste Preuße eine Flanke von ter Horst mit der Brust an und versenkt den Ball per Direktannahme in den Maschen. Keine Frage, das stellte den Spielverlauf ein Stück weit auf den Kopf und zeigte den Hausherren auch, dass das hier kein Sonntagsspaziergang wird und es drei Punkte gegen den Aufsteiger nicht per Nachnahme gibt.
Die Niedersachsen entwickelten in der Folge zunehmend Druck auf die ansonsten gut sortierte Hintermannschaft der Preußen, wenngleich es noch an den entscheidenden Ideen fehlte. In Minute 34 dann hatte der Fußballgott ein Einsehen und entlohnte die Roten mit dem beinahe fälligen Ausgleich. Einen sauber ausgespielten Gegenstoß konnte schließlich Tresoldi erfolgreich per Kopf abschließen. An die Adresse von Paetow gilt dabei (leider) die bekannte Tatsache: Wenn ich hinter meinem Gegenspieler stehe, kann ich ins Spielgeschehen nur bedingt eingreifen. Bis zum Halbzeittee konnten die Preußen dann durch unregelmäßige Gegenstöße immer wieder zurückdrängen und so die Partie offen gestalten.
Hannover erhöht den Druck
In der Halbzeit fand André Breitenreiter offensichtlich deutliche Worte und unterstrich die Erwartungshaltung, dass eine Punktteilung für die Ambitionen der Landeshauptstädter zu wenig wäre. So erklärt sich auch das Spielgeschehen in den ersten 20 Minuten nach dem Wiederanpfiff. Beinahe wütende Angriffe folgten, und in der 54. Minute fiel der nächste Treffer der Niedersachsen. Hier hatten wir aber Fortuna auf unserer Seite, da Muroya wenige Zentimeter im Abseits stand und der vermeintliche Führungstreffer nicht zählte. Mehr Glück hatte dann 10 Minuten später Leopold, der von Tresoldi in Szene gesetzt wird und bester Mittelstürmer-Manier Johannes Schenk umkurvt und in das leere Tor zur verdienten Führung einschiebt.
Mit Blick auf die Spieldaten kam diese Spielentwicklung nicht von ungefähr, und für einen kurzen Moment galt zu befürchten, dass es dabei nicht bleiben sollte. Aber einmal mehr zeigte sich, dass die Preußen eine bemerkenswerte Entwicklung in den vergangenen Wochen genommen haben. Gibt es Mannschaften, die diesem Druck mit Fortdauer der Partie Rechnung tragen oder gar auseinanderfallen, so blieben unsere Jungs stabil und hielten sich an den von Hildmann vorgegebenen Matchplan. Immer und immer wieder wurden die Umschaltsituationen gesucht und Flankenläufe auf dem teilweise unberechenbaren Untergrund bis tief in die Hannoveraner Gefahrenzone vorgetragen.
Das Glück des Tüchtigen
Die individuelle Klasse des Aufstiegskandidaten kann man am Ende des Tages nicht in Abrede stellen. Und die Torgefahr spiegelt sich am Ende auch in den Eckdaten der Partie wider, wo Hannover 96 einen Ballbesitz von knapp 70 % auf sich verbuchen kann und 17 Torschüsse zu verzeichnen hatte. Aber es gilt die alte Regel: Ballbesitz schießt keine Tore, und schlussendlich war es die beeindruckende Effizienz der Preußen, die die Hannoveraner verzweifeln ließ. Standen bei uns am Ende 0,93 xGoals im Pendelheft, so war es niemand Geringerer als Neuzugang Florian Pick, der 20 Minuten vor dem Ende nach Zuspiel von Amenyido den eigenen Nachschuss in die Maschen haute. Ausgleich. Damit hatten die Roten sicher nur bedingt gerechnet. Aber zum Glück lässt sich auch 2025 ein Spielverlauf trotz aller Hochrechnungen und Kennzahlen nur bedingt vorhersagen. Und tatsächlich gab es bis zum Ende der 4-minütigen Nachspielzeit noch die eine oder andere Gelegenheit, die die Partie auf den Kopf hätte stellen können.
Schlussendlich war es aber vielleicht das Glück des Tüchtigen, dass Hannover von diesem Ausgleich geschockt wurde und nicht zu einer erneuten Führung kam, sodass unsere Preußen diesen Punkt über die Ziellinie retten konnten. Der Kantersieg der Ulmer Spatzen gegen den Jahn aus Regensburg im Parallelspiel hat die Bedeutung dieses Punktgewinns noch einmal unterstrichen. So grüßen die Preußen nach 19 Partien von Platz 14 und haben 3 Punkte Abstand auf einen möglichen Relegationsabstiegsplatz.
Die 36.100 Zuschauer im Stadion am Schützenplatz werden sicher ein Stück weit enttäuscht sein mit der Punkteausbeute, insofern sie es mit Hannover 96 halten. Der Auswärtstross konnte hingegen mit einem breiten Grinsen die Heimreise antreten und der Gewissheit, dass man auch die Tabellenfavoriten ganz gehörig ärgern kann. So dürften die kommenden Gegner aus Kaiserslautern oder vom HSV durchaus gewarnt sein.
Alle zusammen für Preußen Münster!