Wiedersehen im Westschlager – Preußen erstmals an der neuen Hafenstraße zu Gast

Alexander Langlitz trifft nach den Sportfreunden Lotte nun auf seinen nächsten Ex-Verein (Foto: SCP)

Mittlerweile zehn Jahre ist her, dass die Preußen aus Münster auf die Rot-Weissen aus Essen trafen. Damals, an jenem 16.04.2010 siegte die Preußen deutlich mit 4:0 durch ein Traumtor von Marvin Bakalorz, Sercan Güvenisik, Mehmet Kara und Julian Loose.

Trainer war damals „Fischkopp“ Marc Fascher. Auf Seiten von RWE liefen dagegen Spieler wie Daniel Chitsulo, der im anschließenden Sommer die Hafen- gegen die Hammer Straße tauschte, Mike Wunderlich, Kapitän unter Pavel Dotchev bei Viktoria Köln, oder Timo Brauer, nun bei den Sportfreunden Lotte aktiv, auf. Lang ist all dies her. Im Anschluss an die Spielzeit 2009/2010 musste RWE Insolvenz anmelden, trat den Gang in die fünftklassige NRW Liga an, während bei den Preußen die Weichen für den Aufstieg 2011 gestellt wurden. Ebenfalls erwähnenswert an dieser Stelle ist nicht nur der 4:0-Heimsieg aus dieser Spielzeit, sondern auch das Hinspiel. Damals, noch vom jetzigen PSV Eindhoven-Trainer Roger Schmidt trainiert, lag der SCP bis zur Nachspielzeit durch ein Tor von Sascha Mölders zurück. Dann: Ecke Jens Wissing, Kopfball quergelegt von Jens Grembowietz, ein fast missglückter Fallrückzieher (!) von David Buchholz, Schuss Bakalorz und Wojciech Pollok drückt das Ding mit der letzten Aktion des Spiels über die Linie. Ausgleich.

Die letzten Erinnerungen an Partien gegen RWE sind also bei weitem nicht so schlimm, wie das, was sich Anfang/Mitte der 2000er Jahre so abspielte. Doch dauerte es nun ein Jahrzehnt, bis es zur nächsten Partie kommen soll. Denn während Rot-Weiss Essen es Jahr für Jahr erfolglos versuchte, in den Profifußball zurückzukehren, verabschiedeten sich die Preußen bekanntermaßen von selbigem in diesem Sommer. Nun steht am 9. Spieltag das Aufeinandertreffen der beiden Rivalen auf dem Programm, es ist das Spitzenspiel der Regionalliga West

Erstmalig im neuen Stadion

Während die Preußen weiterhin in ihrer Antikarena rumdümpeln – auch wenn Besserung halbwegs in Sicht ist – schickt sich RWE an, seit 2012 seine Heimspiele in einer neuen Spielstätte zu absolvieren, die nur einen Steinwurf vom altehrwürdigen Georg-Melches-Stadion liegt. Die moderne Arena mag zwar nicht mehr das komplette Flair des alten Stadions aufweisen, wer allerdings langfristig in den Profifußball will, muss solche Strukturen schaffen. Wenn dann, wie zu normalen Zeiten außerhalb von Corona, 12.000 – 14.000 Essener ihre Mannschaft nach vorne schreien, lebt der Mythos Hafenstraße trotz über einem Jahrzehnt in den Niederungen des Amateurfußballs auf.

„Ob Osna, Essen, Bielefeld – wir fahren bis zum Arsch der Welt!“ heißt es im Lied mein schönster Fluch. Am Samstag wird es jedoch nicht möglich sein nach Essen zu reisen, denn nach wie vor sind Auswärtsfans nicht erlaubt. Auch von Essener sind nur 300 Zuschauer erlaubt. Der Grund dafür ist die Inzidenzzahl in Essen von über 50 infizierten Personen pro 100.000 Einwohner,

„Die aktuelle Gesamtgemengelage erschwert eine vorausschauende Planung erheblich. Nach Abstimmung mit allen relevanten Dienstleistern, den Essener Behörden und der Staatskanzlei in Düsseldorf werden zum anstehenden Heimspiel gegen Preußen Münster am kommenden Samstag 300 Zuschauer zugelassen.“ – Marcus Uhlig

Doch selbst wenn das frenetische Publikum vor Ort gewesen wäre – ein Großteil der Preußen-Spieler hat letzte Saison in Stadien von Hansa Rostock, Kaiserslautern oder Braunschweig geflemmt, insofern wäre der Einschüchterungsfaktor wahrscheinlich nur von geringer Bedeutung. So muss man sich mit den Gegebenheiten halt leider anfreunden. Ähnlich wie die Preußen bietet auch RWE einen eigenen Stream an, das Einzelspiel kann für satte 9.95 € gebucht werden. Äußerst teuer, aber man will ja schon irgendwie an einem der wenigen Saisonhighlights teilhaben.

Klasse-Kader

Schaut man sich den Kader von Rot-Weiss Essen an, dann kann eigentlich nichts als ein Aufstieg erwartet werden. Angefangen bei Daniel Davari im Tor, der immerhin 2014 im WM-Kader des Iran stand, und mit seiner Routine der Abwehr Stabilität geben soll. Auf links erlebt Kevin Grund seinen 3. oder 4. Frühling der Karriere, im direkten Duell mit Julian Schauerte kommt es dort also zum Duell der alten Hasen. Mit Alexander Hahn als Abräumer und den vom Außen- zum Innenverteidiger umfunktionierten Daniel Heber besitzt RWE auch spielerische Klasse im Aufbau. Felix Weber, letzte Saison noch bei 1860 München unter Vertrag, befand sich bereits seit längerer Zeit im Probetraining und hat nun am Donnerstag vor dem Spiel einen Vertrag unterzeichnet und bietet somit eine weitere Option, die sogar am Spieltag schon im Kader stehen könnte. Rechts ist Sandro Plechaty, der angeblich auch bei Preußen auf der Liste stand, einer der Gewinner dieser Saison. Das defensive, sowie zentrale Mittelfeld ist das Prunkstück der Essener. Marco Kehl-Gómez, Ex-Preuße Dennis Grote, Amara Condé sowie Neuzugang Felix Backszat, der sich für RWE und gegen den SCP entschied, verkörpern pure Erfahrung und spielerische Klasse. Auf Außen wirbeln der ehemalige Uerdinger und Aachener Oguzhan Kefkir, sowie Joshua Endres und der am Deadline-Day verpflichtete Isaiah Young. Zum Angriff muss man auch nicht mehr viel sagen: Simon Engelmann schießt die Regionalliga West seit Jahren kurz und klein und kam zusammen mit Backszat aus Rödinghausen nach Essen, Platzek ist Fanliebling und eine Institution bei RWE und der dritte im Bunde, Maximilian Pronichev, hat für seine 22 Jahre schon seine Qualitäten in der Regionalliga Nordost unter Beweis gestellt. Das klingt nach einem ordentlichen Brett, das die Preußen durchbohren müssen.

Dennoch: auch diese Qualitätsspieler müssen es schaffen, als Team zu funktionieren. Daran sind schon ganz andere Mannschaften gescheitert. Der Essener Vorteil ist jedoch, dass eine starke und eingespielte Mannschaft um Spieler wie Hahn, Condé, Kefkir oder Kehl-Gomez aus der letzten Saison lediglich punktuell (Engelmann, Backszat, Davari) ergänzt wurde.Doch derzeit liegt auch RWE nur einen Punkt vor den Preußen und immerhin ist der SCP, auch wenn es lange her ist, seit vier Spielen unbesiegt gegen Rot-Weiss Essen.

Verloren hat der SCP hingegen – und das maximal bitter – sein letztes Pflichtspiel gegen Christian Neidhart. Neidhart war beim Abstiegsspiel gegen Meppen (0:3) Trainer des SVM und entschied sich zur neuen Saison für einen Wechsel an die Hafenstraße. Dort war der ehemalige HSV-Trainer Christian Titz nach einer guten, aber nicht sehr guten, Saison aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen Mannschaft und Trainer geschasst worden. Neidhart übernahm und wird nun beweisen müssen, dass auch bei einem oftmals unruhigen Umfeld erfolgreich arbeiten kann und nicht nur im entspannten Emsland. Für Sascha Hildmann und Jungs wie Max Schulze Niehues, Simon Scherder oder Julian Schauerte sollte die Personalie Neidhart jedoch vielleicht noch eine kleine Extra-Motivation sein.

Schwung mitnehmen

Nach dem 4:1 Sieg über die Sportfreunde Lotte sieht die Welt schon wieder besser aus, als nach der indiskutablen 0:1-Pleite gegen die Zweitvertretung des 1. FC Köln. Zwar reiste Lotte als Kellerkind an, besiegte am Spieltag zuvor jedoch Fortuna Köln, die wiederum am letzten Wochenende 1:1 gegen Rot-Weiss Essen spielten. Was sich daraus ableiten lässt? Mit Sicherheit gar nix. Aber es zeigt, wie schnell es im Fußball manchmal gehen kann. Positiv zu erwähnen sind mit Sicherheit die beiden Stürmertore von Grodowski und Neuzugang Benedikt Zahn bei seinem Einstand, sowie die erneute Gefährlichkeit nach Holtby-Standards durch Hoffmeiers Kopfballtor. Unter der Woche legte der SCP im Angriff sogar noch einmal nach und verpflichtete den vereinslosen William Allin Møller, der zuletzt in Dänemarks zweiter Liga unterwegs war.

Unweigerlich fühlt man sich als Preußen-Fan an das Jahr 2008 erinnert. Vor der damaligen Partie gegen RWE stand ein junger und spät verpflichteter Angreifer, seines Zeichens jedoch Brasilianer, erstmalig für die Preußen im Kader. Der SCP führte in der Schlussphase doch RWE drückte auf den Ausgleich. Dann kam ein gewisser Weller Wilson Pereira und erzielte in der 89. Minute die Vorentscheidung zum 3:1. Samba die Janeiro als Tormusik bei feinstem Münsteraner Meimelwetter. Ein Jammer, dass es davon kein Video mehr gibt. Trotzdem: Legendär. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Møller schon eine Alternative für Samstag darstellt, gegen eine Wiederholung dieses Verlaufs hätten wir an dieser Stelle jedoch nichts einzuwenden. Ansonsten ist Linksaußen Jules Schwadorf zurück im Training und hofft, dass es für den Kader reichen wird, zu einem Einsatz in der Startelf fehlen ihm laut BILD-Artikel noch ein paar Körner.

Dennoch bieten sich Sascha Hildmann nun weitere Optionen: Joel Grodowski etwa wusste gegen Lotte auf dem Flügel zu überzeugen und betonte anschließend, dass er sich dort wohler fühle, als im Zentrum. Osman Atilgan zeigte ebenfalls eine ansprechende Leistung, nach seinen zwei Großchancen gegen Köln II (Lupfer an die Latte) und Lotte (Ball freistehend vertändelt) ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten bei ihm platzt. Julian Schauerte lieferte im zweiten Durchgang gegen Lotte auch auf links eine blitzsaubere Leistung. Es wird spannend, welche Elf Sascha Hildmann ins Rennen schickt, denn außer der Torhüter Position sowie der Viererkette um Langlitz (gegen seinen nächsten Ex-Verein), Scherder, Hoffmeier und Heidemann, darf sich kaum jemand sicher sein, ob er von Anfang an und vor allem auf welcher Position er agieren wird.

Und was sagen die gegnerischen Fans?

Da wir als Fanmagazin agieren, sind wir natürlich auch interessiert, was die gegnerischen Fans über den mit Spannung erwarteten Kick so denken. Dabei haben wir uns die drei verschiedene Meinungen eingeholt.

Catenaccio 07 ist ein über die Essener Stadtgrenzen hinaus bekannter Blogger, der Rot und Weiss nicht nur fußballerisch im Herzen trägt sondern auch bei der Getränkeauswahl in Form von Wein.

Nach 5.000 ist vor 300. Das fällt mir als Erstes ein, wenn ich an das kommende Heimspiel, den Westschlager am Samstag gegen Preußen Münster denke. Konnten beim letzten Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf Zwo noch eben diese 5.000 im Rahmen eines sorgsam durchdachten Hygienekonzepts das Spiel an der Hafenstraße verfolgen, so lässt die aktuelle Coronalage nur den Minimalbesuch zu. Nicht schön, aber bei einem Inzidenzwert in Essen von zur Zeit über 50 leider nicht zu ändern. Dabei – oder trotzdem – ist alles angerichtet, für ein Spitzenspiel der Regionalliga West. Rot-Weiss Essen liegt nach einem durchwachsenen Saisonstart mit zwei Remis und einer darauffolgenden Erfolgsserie auf Platz 2, die Preußen aus Münster rangieren nur einen Platz dahinter. Fußballherz, was willst du mehr. Ja, eine knüppelvolle Hafenstraße mit 14.000 oder mehr Zuschauern, inklusive Gästefans.

Aber wie bereits erwähnt – was gerade nicht geht, das geht halt nicht. Ich halte dieses Match durchaus für richtungsweisend, ohne jedoch den Ausgang als entscheidend für den weiteren, ellenlangen Saisonverlauf zu betrachten. Aber so wie es aussieht, lassen wir den BVB II mal gedanklich außen vor, treffen da am Samstag zwei Teams aufeinander, deren Anspruch nahezu identisch ist, und die diesem bisher auch in weiten Teilen gerecht geworden sind. Der Aufstieg in die 3. Liga. Eigentlich tippe ich sehr ungerne (ich liege meistens falsch), aber da ich vom Betreiber dieser Seite explizit gefragt wurde: 3:2. Ich muss mich ja nicht immer irren.

Matthias B., ein langjähriger rot weißer Dauerkarteninhaber der eisernen Westtribüne RW Essens. Der fanatische und skeptische Spielbeobachter ist mit dem bisherigen Saisonverlauf soweit zufrieden.

Die beiden Unentschieden gegen die beiden Spitzenclubs BVB II und Fortuna Köln auswärts sind ein zufriedenstellendes Resultat, obwohl man in beiden Spielen die bessere Mannschaft war. Das Unentschieden gegen Wiedenbrück an der Hafenstraße ist dagegen aber einfach zu wenig. Die Erwartungen an das Spitzenspiel gegen die Adlerträger sind groß, der letzte Sieg an der Hafenstraße gegen Münster ist aus vergangenen Regionalliga Nord Zeiten der Saison 2005/ 06. Zudem müssen Heimspiele gegen Mitfavoriten um den Aufstieg gewonnen werden, deshalb lautet mein Tipp 3:1 für RW Essen, weil Simon Engelmann an diesem Tag einfach den Unterschied ausmacht.

Matthias J. ist in normalen Zeiten ebenfalls fast bei jedem Heimspiel auf der Westtribüne beheimatet und legt seinen Fokus mehr auf das fußballerische Paket, was RWE derzeit zu bieten hat.

Das Spiel ist natürlich für die Regionalliga ein Kracher. Rot-Weiss hat nach einem holprigen Saisonstart seine Form gefunden hat aber immer noch Schwachstellen im Spiel, gerade der Zug zum Tor fehlt noch manchmal und hat zudem eine gewisse Behäbigkeit im Spielaufbau, dafür ist jedoch eine immense Ballkontrolle vorhanden, die auch auf die Qualität des Kaders zurückzuführen ist. Des weiteren ist die Geschwindigkeit, in der die Bälle verarbeitet und weitergeleitet werden noch mal deutlich höher als in der letzten Saison. Auch dass Dennis Grote wieder als Stammspieler agiert, ist ein großer Faktor was die Ballkontrolle und Ballsicherheit auf der Sechserposition angeht. Auch wenn er nicht mehr die absolute Dynamik verkörpert, merkt man, dass er Ruhe reinbringt, immer anspielbar ist und ein extrem gutes Stellungsspiel hat.

Sicherlich muss RWE anfangen mehr Tore zu schießen, das ist ganz klar. Gerade wenn jetzt die großen Gegner kommen, wie zuvor Dortmund II, Fortuna Köln oder jetzt als nächstes Preußen wird ab und zu noch zu zaghaft agiert, weil die Qualität für ein noch aggressiveres Pressing, schnelleres Umschaltspiel und die Konzentration auf das eigene Spiel durchaus vorhanden ist.

Ich schätze Preußen als stark ein, für mich ist es ein Vierkampf oben an der Tabellenspitze, der möglicherweise zu einem Dreikampf zwischen Essen, Fortuna Köln und Münster werden kann, je nachdem wie die Saison von Dortmund II sowie der ersten Mannschaft des BVB verläuft. Der SCP ist stark gestartet und zurecht oben dabei und ich gehe von einer engen Kiste aus. Ich glaube nicht, dass RWE verlieren wird, weiß aber auch nicht, ob es für einen Sieg reicht. An sich sehe ich RWE im Vorteil, wenn es jedoch, ähnlich wie gegen Fortuna zuletzt, an der letzten Konsequenz hapert, könnte Münster dies zu Gute kommen.

Das stets gesunde Selbstbewusstsein der Essener ist also auch nach all den Jahren in Niederungen des Amateurfußballs nicht gebrochen, hoffentlich am Samstag jedoch um 16 Uhr immerhin für einen gewissen Zeitraum. Wir haben auf jeden Fall nach all den Erinnerungen an Weller, Buchholz oder Bakalorz enorm Lust auf das Spiel und hoffen, dass die 14 1/2 jahrelange Serie weiter Bestand hat. ;-) Und gegen einen erneuten Last-Minute-Punch in Form eines Ausgleichs oder gar eines Siegtreffers wäre natürlich auch nichts einzuwenden.

Für Mannschaft wie für die Fans gilt jedoch:

Alle zusammen für Preußen Münster!

 

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