Spuren hinterlassen
Der Abgang von Tobias Rühle ist in den vergangenen Tagen auf die unterschiedlichste Art und Weise diskutiert worden. Die einen sehen darin nur den Auftakt zum großen Ausverkauf, der uns alle guten Spieler für die nächste Saison kosten wird. Andere sind nicht sonderlich überrascht. Schließlich hatte Rühle doch angeblich einen von diesen „Tuja-Gockel-Fabelverträgen“, die jeden Arbeitnehmer neidisch und unseren Verein arm machen. Er sprengt das Gehaltsgefüge, also weg mit ihm! Wieder andere nutzten den Abgang zum fast schon üblich gewordenen und zornigen „Söldner“-Geschrei. Ungefähres Zitat: „Wie kann man nur nach Krefeld zum reichen Russen gehen?“
Und wieder andere – Teile unserer Redaktion eingeschlossen – sind zwar ebenfalls nicht überrascht, aber auch traurig über den Weggang von Tobias Rühle. Ja, es stimmt. Für einen Offensivspieler machte er in den vergangenen drei Jahren relativ wenige Tore (vier). Vielleicht waren es sogar zu wenige. Doch so paradox das bei einem nominellen Stürmer klingt: Das wird ihm nicht gerecht. Tobi Rühles Wert auf dem Feld lag oft woanders.
Ein Stürmer – und auch wieder nicht
Immer wieder konnte man in den vergangenen Jahren beobachten, wie leidenschaftlich Fans anderer Vereine nach Niederlagen gegen unsere Adlerträger über Tobias Rühle schimpfen konnten. „Schwalbenkönig“ war da zu lesen. Oder: „Immer nur am Reklamieren, der Typ!“ War ja auch nicht ganz falsch. In vielen Spielen hatte Tobias Rühle längere Gespräche mit den Schiri-Gespannen als diese untereinander.
Aber er war auch das: Mehr als einmal habe ich live im Stadion gesehen, wie Rühle gegnerische Verteidiger so lange an der eigenen Eckfahne beharkte, bis diese den Ball verzweifelt wegpöhlten. Oder die vielen Freistöße in aussichtsreicher Position, die er in seinen drei Jahren beim SCP herausgeholt hat. Er war nie ein Vollstrecker, aber trotzdem oft ein Alptraum für die gegnerische Defensive, weil er auf dem Platz eine solche Nervensäge sein konnte. Weil er sich solange in den Zweikampf warf, bis der Ball im Aus war oder der Schiri abpfiff. Ein „Kampf-Spieler“ im positivsten Sinne.
„Es war einmal…“
Und es gibt da diese zwei Geschichten aus Rühles SCP-Geschichte, die ihn in Erinnerung bleiben lassen. Geschichte eins: Wir schreiben den 30. September 2017 im fast schon überfluteten Preußenstadion. Seit dem Morgen hat es ununterbrochen geregnet. Derbytime! Es läuft die zweite Halbzeit. Vor gut zwei Minuten hat Halil Savran den Anschlusstreffer für die niederen Sachsen per Elfmeter erzielt. Das Spiel könnte jetzt kippen. Da bekommt Michele Rizzi nahe der Strafraumgrenze den Ball und chippt ihn zwischen zwei Osnasen hindurch.
Der Ball landet im Strafraum bei Tobias Rühle, der den Ball vor Torwart Marius Gersbeck erreicht und dann in dessen ausgestreckte Hände hineinläuft. Rühle fällt, der Schiri pfeift und Kobylanski zieht den Osnabrückern mit dem verwandelten Eflmeter endgültig den Zahn. Danach cruist eine schwach in die Saison gestartete Adlertruppe dem Derbysieg entgegen. Übrigens: Das zwischenzeitliche 2:0 hatte Rühle ebenfalls gemacht. Natürlich per Kopf. Ohne Rühles Schlitzohrigkeit an diesem Tag hätten wir dieses Derby vielleicht noch verloren.
Und dann kommt dieser eine Moment
Bei Geschichte zwei wären die Konsequenzen wohl deutlich gravierender gewesen. Vor diesem 27. Spieltag der Saison 2016/2017 ist der SC Preußen auf Platz 18 und damit in akuter Abstiegsgefahr. Vor knapp 6.000 Zuschauern trifft der SCP an einem kühlen Dienstagabend auf den FSV Frankfurt im direkten Duell zwischen Platz 18 und 17. Es läuft die 89. Minute und die meisten im Stadion haben sich mit dem 1:1-Unentschieden abgefunden. Es hilft nicht wirklich weiter, geht aber angesichts der hochkarätigen Chancen für die Frankfurter in Halbzeit zwei in Ordnung.
Da landet der Ball irgendwie bei Tobias Rühle. War es ein Abpraller? Eine Flanke? Keine Ahnung. Er jedenfalls zieht jetzt volley ab. All der Frust der enttäuschenden Saison liegt in diesem Schuss. So ein Ding kann reingehen. Es kann die Torlatte zum Wackeln bringen. Oder irgendeine arme Seele in Block O kriegt vom Ball die Nase gerichtet. Nur eines ist klar: Wenn der Ball jetzt reingeht, gibt es in dieser verkorksten Saison noch eine Chance.
Hoffen, Bangen, Wünschen. Für nicht mal eine Sekunde. Dann sehen die 6.000 im Stadion den Ball schon am machtlosen Frankfurter Keeper vorbei in den Winkel zischen. 2:1! Der SCP lebt noch! Und wie: Der anschließende Jubel ist wohl noch in Nienberge zu hören. In Block N fallen die Ultras im Jubel übereinander, die Fahnen versinken in der springenden Menge. Wer es aus dem Knäuel herausschafft, entert den Zaun und jubelt, jubelt, jubelt.
Die Wende geschafft
Alle Preußen im Stadion sind sich in diesem Moment sicher: So eine kämpferische Mannschaft darf und kann nicht absteigen. Sie behalten Recht: Am Ende der Saison steigen die Frankfurter als insolventer Letzter ab und die Preußen bleiben als souveräner Neunter deutlich in der Liga. Das Spiel war für beide Teams der Wendepunkt. Tobias Rühle hat mit seinem Tor allein nicht den Verein vor dem Absturz gerettet, aber der Treffer gab die Initialzündung für eine bemerkenswerte Aufholjagd.
Zurück bleibt die Erinnerung an einen Moment, den viele von uns nicht so schnell vergessen werden. Ein Schuss wie ein Strich. Ein Aufbruch in eine bessere Phase der Saison. Ein Erlebnis, dass die Erinnerungen an so manchen Grottenkick überdeckt. Eine Geschichte, die mit „Weißt du noch, damals gegen Frankfurt…“ anfängt. Eine „Rühle-Geschichte“.
Natürlich soll es hier jetzt nicht zu kitschig werden. Am Ende des Tages bleibt auch Tobias Rühle ein ganz normaler Profi, der in Krefeld wohl einen besser dotierten Vertrag als bei uns erhält und deshalb den Arbeitgeber wechselt. Ohne Verletzungspech kann er noch circa fünf bis sechs Jahre mit Profifußball Geld verdienen und das sei ihm gegönnt. Und vielleicht werden wir ihn in den kommenden Saisons sogar ein bisschen vermissen, wenn wir dringend einen Freistoß in Strafraumnähe brauchen.
In diesem Sinne: Danke Tobias Rühle! Und wenn wir dich in der nächsten Saison als „Schwalbenkönig“ bezeichnen, dann ist es nett gemeint! ;-)
Schöner Kommentar! Von Anfang an haben ihn alle als Wühler bezeichnet, das sagt ja schon alles. Enorme Kämpferqualität, technisch unterschätzt aber kein echter Stürmer, der jederzeit weiß, wo das Tor steht. Und da wir in 1906 Jahren keinen Elfer mehr bekommen, brauchen wir eher nen Stürmer. Alles Gute, Toby!