Preußen und der Sündenbock

2019/2020 - Der Heim-Blog

Die Trainerfrage

Populär ist auch der Vorwurf, MM habe in der Trainerfrage keinen Plan B besessen. Mein Eindruck: Genau das Gegenteil ist der Fall. Woher weiß man, dass sich der Sportdirektor nicht schon vor Wochen Gedanken über den Trainer gemacht hat? Woher weiß man, wie viele Gespräche er diesbezüglich geführt hat? Nun gut, MM ist kein Darling der Medien, sondern ein eher zurückhaltender Typ, der nicht jeden Gedanken laut hinausposaunt. Gut so!

In der Trainerfrage wäre dies auch äußerst unklug gewesen: „Sven Hübscher sitzt auch noch die nächsten beiden Spiele auf der Bank, aber selbstverständlich diskutieren wir bereits Alternativen… Wir warten nur auf das für einen Wechsel notwendige Geld. Wir gehen davon aus, dass Sven und die Mannschaft in den nächsten Spielen trotzdem ordentlich Gas geben!“ Ähnlich dumm wäre es gewesen, die Gerüchte bezüglich des Hübscher-Nachfolgers zu kommentieren. Dass sich MM hier verweigerte, wurde ihm allerdings indirekt zum Vorwurf gemacht. Sollte MM tatsächlich aufzählen, mit wem er spricht und wer ihm absagt? Damit derjenige, der schließlich den Job bekommt, die Bühne mit einem Schild um den Hals betritt, auf dem geschrieben steht: „Ich bin Preußens Wunschkandidat Nummer 13!“ Insgeheim haben viele MM-Kritiker wohl gehofft, der Sportdirektor sei zum Zeitpunkt der Jahreshauptversammlung noch immer ohne Trainer.

Den Hübscher-Nachfolger, auf den sich die komplette Preußen-Gemeinde einigen könnte, weil schon allein seine Vita Erfolg verspricht, gibt es nicht. Das hat herzlich wenig mit MM zu tun, aber viel mit Geld und Perspektiven.

Pele Wollitz sagte dem SCP ab, bevor dieser ihn überhaupt gefragt hatte. Wollitz wusste, dass der Stuhl im Magdeburg frei wird. Und, dass ihm dort ein erheblich höheres Gehalt als in Münster erwartet. Ganz abgesehen vom geringeren sportlichen Risiko und den deutlich besseren Arbeitsbedingungen (Finanzen, Stadion, Infrastruktur). Allgemein ist es nur schwer vorstellbar, dass sich Deutschlands renommierteste Fußballlehrer um den Job beim SCP balgen und MM sich vor großartigen Kandidaten kaum retten konnte. Es ist ja bekannt, warum Antwerpen die Preußen verließ: kein Geld für höhere Ambitionen – zumindest nicht kurzfristig.

Neuer Preußen-Coach ist nun also Sascha Hildmann. „Geht gar nicht“, meinen einige Fans. Der Mann sei doch kein Feuerwehrmann. Stimmt. Aber wer ist denn der Feuerwehrmann, der die Preußen rettet? Und welcher der bewährten Feuerwehrmänner ist auf dem Markt und für den Klub erschwinglich? Natürlich kommt dann der letzte Aufstiegs- und Meistertrainer ins Spiel, das ist bei anderen Klubs nicht anders. Im Falle der Preußen: Mark Fascher. Erschlagenes Argument: Fascher sei bei den meisten Fans noch immer beliebt.

Sorry, worum geht es hier? Nach welchen Kriterien soll der SCP seine Trainer verpflichten? (Roger Schmidt war bei den Fans nicht gerade beliebt. Aber ein sehr guter Trainer, der nach seiner Entlassung in Münster die Treppe hochfiel…) Passt Fascher zu dieser Preußen-Mannschaft? Die Entwicklung junger Spieler war nicht seine Sache. Und greifen Faschers Methoden auch noch heute?

Nehmen wir einmal an, dass Hildmann als einziger der Kandidaten dazu bereit war, sich die hiesigen Verhältnisse anzutun: ein enges finanzielles Korsett, ein geringeres Gehalt, als es an anderen Standorten gezahlt wird, höchst bescheidene Trainingsbedingungen, fünf Punkte Rückstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz, Vertrag nur bis zum Saisonende, also keine Hoffnung auf Abfindung. Ist dies ein Argument gegen den Trainer? Nein, es ist lediglich ein Hinweis auf die Möglichkeiten des SCP. Und wenn Hildmann hier nur ist, weil kein anderer zu haben war, bei MM klingt dies anders, dann sage ich erst recht: „Danke!!! Herzlich willkommen!!!“

Wir brauchen Leute, die nicht herumjammern. Wir brauchen Leute, jedenfalls für den Moment, die sich den hiesigen Umständen stellen, wozu eben auch die geringen finanziellen Mittel und der fragwürdige Trainingsplatz gehören. Und kein Trainingslager unter der türkischen Sonne, sondern lediglich zwei, drei Tage in den Niederlanden. Hildmann scheint so einer zu sein. Was Preußen nicht braucht, das sind Leute, die grundsätzlich alles nur negativ kommentieren.

Malte – Allein zu Haus?

Zurück zum Vorwurf MM habe in Sachen Trainer keinen Plan B besessen. Tatsächlich war der SCP bei der Trennung vom Trainer besser vorbereitet als in der Vergangenheit. Dass man Arne Barez seinen Fußballlehrer bauen ließ, hatte zwei Gründe: erstens das geplante NLZ. Zweitens wollte man für den Fall gewappnet sein, dass es mit dem Chef-Trainer nicht funktioniert. Das hatte zunächst einmal nichts mit Hübscher zu tun. Aber in der 3. Liga – und in Münster besonders – werden Trainer ziemlich schnell entlassen. Wer weiß, wann Barez und Co. das nächste Mal einspringen müssen.

Die nächste Trainerentlassung kommt bestimmt. „Es gibt nur zwei Gewissheiten im Leben. Menschen sterben, und Fußball-Trainer werden entlassen“ (Eoin Hand, von 1980 bis 1985 Nationaltrainer der Republik Irland). Die „WN“ schreiben, die Geschichte des SCP sei „voll von… Fehlentscheidungen in der Trainerfrage.“ Wenn jede Entlassung beziehungsweise vorzeitige Trennung als Indiz für eine Fehlentscheidung gilt, dann trifft dies für 95 % der deutschen Profiklubs zu. Und dann muss man sich mal überlegen, warum dies so ist. Ein Teil der Antwort kommt weiter unten. Ich habe mal die „Kandidaten“ für den Preußen-Job gegoogelt, die durch die Presse geisterten. Arbeitsverhältnisse, die vertragsgemäß beendet wurden, befinden sich deutlich in der Minderheit.

Das Zeitfenster, das der DFB für eine Interimslösung ohne Fußballlehrer gewährt, ist ziemlich eng. Wer einen Fußballlehrer in seinen Reihen hat, muss nicht bereits wenige Tage nach der Trennung eine Holterdiepolter-Lösung präsentieren. Dass man den U19-Trainer Barez mit Beginn der Saison als zweiten Co-Trainer einspannte, war gut überlegt. Ein Trainer, der den Verein und die Mannschaft kennt, der die Verbindung zum Nachwuchs hält. Ein Trainer, der einspringen kann, wenn die Trennung vom Cheftrainer unvermeidlich ist. Ein Trainer, der dem Verein bei der Suche nach einem neuen Chefcoach etwas Zeit gibt, weil er den Fußballlehrer besitzt.

Vermutlich empfindet MM es als unangenehm, dass er seit Monaten das öffentliche Gesicht des Klubs spielen muss, an dem sich dann Medien und Fans abarbeiten. Als ob das Unternehmen Preußen eine One-Man-Show wäre. Alexander Heflik schreibt in den „WN“: „Metzelder sind durch die maue Finanzlage die Hände gebunden. Auf sportlichem Gebiet scheint er zudem alle Entscheidungen mehr oder weniger alleine wuppen zu müssen. Malte Metzelder, der Einzelkämpfer mit ganz schwerem Rucksack.“ Wenn dies stimmt, dann hakt es an anderen Stellen. Aktuell ist es jedenfalls so, dass so ziemlich alles, was beim SCP schiefläuft, bis hin zum Verhältnis der Klub-Gremien zu den Fans, auf die Person MM projiziert wird. Auch dann, wenn der Stein des Anstoßes gar nicht in den Beritt des Sportdirektors gehört.

Aufsichtsratsboss Frank Westermann wird dafür attackiert, dass er mit MM verlängern möchte. Vielleicht hat Westermanns Wunsch ja damit zu tun, dass er über MMs Arbeit – sowohl Inhalt wie Umfang betreffend – mehr weiß als dessen Kritiker. Er deutete dies an, als er darauf verwies, was MM im Hintergrund an Strukturen aufgebaut habe. Strukturen, die dem SCP sportlich eine stabilere Basis geben sollen. U23 und Junioren erfuhren eine Aufwertung, es wurde der Aufbau einer Scouting-Abteilung betrieben, auch in Sachen NLZ wurde einiges unternommen. Und da MM nichts daran ändern kann, dass die Trainingsbedingungen räumlich äußerst bescheiden sind, nur ein Rasenplatz, der ziemlich ramponiert ist und nicht einmal über die richtigen Maße verfügt, und sich der Rasen im Stadion in einem beklagenswerten Zustand befindet, sehr schlecht für „guten Fußball“ (s.u.), engagierte er gar einen neuen Platzwart, um wenigstens ein bisschen Abhilfe zu schaffen. Das hört sich profan an, dokumentiert aber, wie groß das von MM zu beackernde Feld ist. Vielleicht wäre der Klub gut beraten, die Frage der Trainingsplätze vom Neubau des Stadions zu trennen, auch um das Thema Nachwuchsleistungszentrum voran treiben zu können.

Beim Konkurrenten Halle wurde unlängst mal so eben ein neuer Trainingsplatz beschlossen. Baubeginn Mitte 2020, Inbetriebnahme 2021. Das wird in Halle auch so passieren. In Münster wäre ich mir bei derartigen Ankündigungen nicht so sicher. Über das genaue Vorgehen des SCP in der Stadiondebatte weiß ich nichts. Aber vielleicht würde eine Prioritätenliste helfen.

  • Punkt 1: Trainingsplätze. Nicht nur für die Profis, sondern auch den Nachwuchs. Denn die Umsetzung des – von MM forcierten – Projekts NLZ scheitert derzeit vor allem an einen Mangel an Plätzen.
  • Punkt 2: Gegengerade.
  • Punkt 3: der Rest. Für zwei zusätzliche Trainingsplätze benötige ich keinen Bahnhaltepunkt und auch keine weiteren Parkflächen.

MM wird in der Regel ausschließlich entlang der Performance der Profis beurteilt. Und dies – wie dargestellt – ohne Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, die er in Münster vorfand und vorfindet. Dabei bekommt man erstmals seit Jahren den Eindruck, dass jemand eine klare Linie in den sportlichen Bereich bringt und der Klub auf Basis einer Idee agiert – und nicht zufällig. Eigentlich ist dies etwas, was seit rund 30 Jahren gefordert wird.

Vom „Scheitern“ des „besseren Fußballs“

Sicherlich hat MM Fehler gemacht – wie auch Zorc, Salihamidzic, Bobic, Baumann, Misslintat / Hitzelsperger u.a.m. Ein Fehler, der mir einfällt, für den ich aber niemals einen sportlichen Leiter entlassen würde (im Gegenteil!), weil ich dieses Vorhaben generell ziemlich sympathisch finde: MM wollte in der Liga des „langen Balles“, der großen Ochsen und des Gegen-den-Ball-Gepöhles besseren Fußball spielen. Beobachter bestätigen, dass der SCP in dieser Saison in seinen Spielen Phasen hatte, in denen er besser spielte als in der letzten. Aber eben nur Phasen. Durchsetzen konnte er sich damit (noch) nicht.

Sascha Hildmann erzählte im Sommer 2019 auf blogvierzwei.de: „Für mich ist die Dritte Liga eine reine Fehlerliga. Ich sehe jedes Wochenende neben unserem Spiel mindestens noch ein weiteres ‚live‘, spielerische Glanzleistungen sehe ich da eher selten. Es stehen sich immer zwei Teams gegenüber, die gut verteidigen, gut organisiert sind – und wer den ersten Fehler macht, verliert, nicht immer, aber etwa bei 80 Prozent aller Partien. Und mit 46-prozentiger Wahrscheinlichkeit fällt das erste Tor nach einer Standardsituation, ein unfassbarer Wert. Das ist die Dritte Liga: Robust, mentalitätsbesessen, wenig Technik. Das haben viele noch nicht begriffen.“ „Gutem Fußball“ stand (und steht) in Münster allerdings auch der eigene Platz im Wege, vermutlich der schlechteste der gesamten Liga. Der SCP hat hier die Nachfolge von Lotte angetreten.

Was ist also zu erwarten? Der SCP wird sich vermutlich mit erfahrenen Akteuren verstärken. Auf Kosten junger Spieler. Für die sogenannten „Brückenspieler“ wird es schwieriger werden. (Wenngleich Sascha Hildmann auf seiner ersten PK die Frage nach U19 – und U23-Spielern wie folgt beantwortete: „Ich habe schon sehr vielen Spielern in der Liga zu ihrem Debüt verholfen, da habe ich keine Angst vor.“) Aber ist dies nicht das, was das „Fußball-Volk“ lautstark gefordert hat? Wobei mich nicht wundern würde, wenn dieselben Leute, die zu Beginn der Saison einen Mangel an erfahrenen Spielern beklagten, in einigen Monaten darüber jammern, dass junge Talente beim SCP keine Chance besäßen. Einige Preußenfans wissen manchmal selber nicht, was sie wollen – abgesehen von einem neuen Stadion und dem Aufstieg in die Bundesliga. Modelle à la Freiburg oder Unterhaching werden zwar unverändert heftig gepriesen. Nur verstehen tut man sie nicht. Und schon gar nicht ist man dazu bereit, den damit verbundenen Preis zu zahlen.

Vielleicht wird man beim SCP nun wieder verstärkt „typischen Drittligafußball“ sehen. Das ist nicht schön, aber wohl notwendig und nicht schlimm. Sofern man das Setzen auf erfahrene Akteure und einen schlichteren Fußball nicht endlos in die Zukunft verlängert.

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9 Antworten

  1. Hannes Nordmeyer sagt:

    Welch ein supertalentiert Artikel!!!

  2. Hannes Nordmeyer sagt:

    Supertoller!

  3. Mike sagt:

    Super Geschrieben! Sollte für einige Pflichtlektüre werden!

  4. Hans Werner sagt:

    Großartig! Am liebsten würde ich den Artikel mehrfach ausdrucken und allen Nörgeln und Unwissenden in die Hand drücken.

  5. Simon sagt:

    Klasse Kommentar! Erfrischend „andere“ Sichtweise.

  6. Klaus Jürgens sagt:

    Welch ein super Artikel ! An alle Vereinsmitglieder verschicken und Malte Metzelder auf der Jahreshauptversammlung hoch Leben lassen!!!

  7. Andreas Beckmann sagt:

    Ich bin Vereinsmitglied und MM trägt nunmal die Hauptverantwortung.
    Selbst wenn man alle anderen Kritikpunkte fallen ließe – 8 sieglose Spiele hätten reichen können für die Erkenntnis, das der Trainer mit seinem und MM´s Konzept gescheitert ist. Waren es 14? oder 15 Spiele ohne Sieg??? Auf jeden Fall viel zu spät.
    Doppelt geschrieben????
    Ja – ich bin einer der bösen Kritiker des Herrn Metzelder aus dem bösen Forum…

  8. Joachim sagt:

    Besser kann man es nicht beschreiben. Endlich mal liegen die Dinge richtig beschrieben auf dem Tisch. Sehr gut. Danke dafür!

  9. Henning wossidlo sagt:

    Ich habe in den 60iger Jahren in der C Jugend gespielt und lebe jetzt seit 35 Jahren in Wiesbaden und leide fast jede Woche seit meinem Abschied aus Münster. Immer wenn ich die Vorstandsriege bei den Spielen in Wiesbaden zu „nachhaltigen“ Abendessen eingeladen hatte, keimte Hoffnung auf. Dieser fantastische Artikel sollte Anlass geben, tatsächliche Entscheider und potentielle Sponsoren für das Überleben des Vereins und die Vision Zukunft zu gewinnen und einzunehmen. Vielleicht findet sich ja dann auch noch ein es ernst meinender „Macher“

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